- Ketzer im Mittelalter: Der eine Glaube?
- Ketzer im Mittelalter: Der eine Glaube?KarolingerzeitDie ersten Ketzer, von denen wir im Mittelalter erfahren, sind im 8. Jahrhundert ein gallischer Priester namens Aldebert, der sich als Wundertäter wie ein Apostel und ein Heiliger verehren ließ, und ein Ire namens Clemens, der die Schriften und Lehren der Kirchenväter verworfen haben soll. Beide wurden mit ihren Anhängern, über deren Zahl wir nichts wissen, durch die Synode von Rom 745 exkommuniziert, über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt.Mehrere fränkische Synoden Ende des 8. Jahrhunderts hatten sich mit einer Adoptianismus genannten Häresie zu befassen, die von Spanien aus ins südwestliche Frankenreich vorgedrungen war. Der Adoptianismus versuchte das Verhältnis zwischen menschlicher und göttlicher Natur in der Person Christi zu erklären, indem er Jesus als von Gott in der Taufe adoptierten vorbildlichen Menschen ansah. Vielleicht hängt die Entstehung dieser Lehre damit zusammen, dass sich im damals von den Muslimen beherrschten Spanien das Problem des Monotheismus verschärft stellte. Ob diese Lehre weiter verbreitet war, wissen wir nicht; jedenfalls griff auch hier der Papst ein, indem er auf der Synode von Rom 798 den Hauptvertreter des Adoptianismus, Bischof Felix von Urgel, als Ketzer bannte.Zweifellos in die Breite wirkte der Mönch Gottschalk von Orbais (✝ 868/869), ein Sachse, dem es zum Problem geworden war, dass seine Vorväter als Heiden ohne persönliche Schuld in Ewigkeit verdammt sein sollten, während er selbst der Seligkeit teilhaftig werden konnte. Aus diesem persönlichen Hintergrund wird verständlich, dass Gottschalk aus Aussagen des Kirchenvaters Augustinus schloss, Gott habe die Menschen sowohl zum Heil als auch zur Verdammnis vorherbestimmt. Wenn mehrere Konzilien zwischen 848 und 860 diese Lehre verdammten, so auch deshalb, weil man durch Gottschalk, der seine Lehre auch in Predigten in Italien und im Frankenreich verbreitet hatte, die öffentliche Moral gefährdet sah. Er wurde gezwungen, seine Schriften zu verbrennen, und dann in ein Kloster eingewiesen, wo er Schreibverbot erhielt.Weitere, häufig nur regional auftretende Ketzereien beschäftigten meist nur den ansässigen Klerus bzw. regionale Synoden. Allen Häretikern dieser Zeit ist dabei gemeinsam, dass sie zwar von Synoden verurteilt und teilweise auch körperlich gezüchtigt wurden, aber nicht — wie in späteren Zeiten — hingerichtet wurden.Erste Ketzerbewegungen im 11. JahrhundertErst am Beginn des 11. Jahrhunderts erfahren wir wieder von Ketzern, und zwar diesmal aus Frankreich. Zwischen 1022 und 1025 traten in Orléans, Toulouse, Arras und Lüttich Männer und Frauen auf, die alle Sakramente, auch die Priesterweihe und die Ehe, ablehnten und Kirche und Klerus als unnötig ansahen. Auch das Essen von Fleisch sollen sie abgelehnt haben. Ein vom König geleitetes Gericht verurteilte die Gläubigen aus Orléans als Ketzer zum Feuertod.1050 ließ Kaiser Heinrich II. aus Lothringen stammende Ketzer in Goslar hängen. Es ist sicher kein Zufall, dass in Frankreich und in Lothringen zuerst solche »Ketzer« auftraten, denn ihr Auftreten hängt mit der durch die Klosterreform ausgelösten religiösen Laienbewegung zusammen. Diese manifestierte sich auch in einer großen Zahl von Konversionen, das heißt von persönlichen Bekehrungserlebnissen, nach denen Adlige und Bauern ins Kloster eintraten.Der Appell an die Laien, die Einhaltung der Reinheitsvorschriften durch die Kleriker zu kontrollieren, der im Aufruf zum Boykott von Messen verheirateter Priester gipfelte (1059), verschärfte die Kritik an der Kirche, die ein wesentlicher Antrieb der Ketzerbewegung des ausgehenden 11. und des 12. Jahrhunderts war. Noch innerhalb der Kirche blieb diese Kritik in Mailand, wo die Bewegung der Pataria in der Mitte des 11. Jahrhunderts versuchte, die Gebote der Reinheit und das Verbot des Ämterkaufs innerhalb der Kirche durchzusetzen. Wenn die Wortführer dieser Bewegung davon sprachen, die von verheirateten Priestern gespendeten Sakramente seien »Hundekot« und die von ihnen versorgten Kirchen »Viehställe«, so verweisen diese Angriffe zurück auf die französischen Häresien der 1020er-Jahre und voraus auf die Katharer des 12. Jahrhunderts.Eremitenbewegung in FrankreichUm 1100 erfasste eine Eremitenbewegung den Norden und den Westen Frankreichs, die gegen den Reichtum der cluniazensischen Klöster und gegen die sich in weltliche Dinge einmischenden Priester gerichtet war. Im Westen wirkte Robert von Arbrissel, der als Wanderprediger die Laien zur Nachfolge der Apostel und zu einem Leben in Armut aufforderte. Im Norden predigte Norbert von Xanten gegen die Unmoral und den Reichtum der kirchlichen Hierarchie. Er wurde vom Bischof von Laon gedrängt, sein Dasein als Wanderprediger aufzugeben und ein Kloster zu gründen; damit wurde er zum Begründer des Prämonstratenserordens.Robert von Arbrissel wurde ebenfalls von einigen Bischöfen aufgefordert, eine dauernde Niederlassung zu suchen. Anstoß hatte nämlich erregt, dass sich ihm zahlreiche Frauen angeschlossen hatten, die zum Teil ihren Männern davongelaufen waren. Es kamen Gerüchte über sexuelle Exzesse im Umkreis der wandernden Armen auf. Roberts Anhänger ließen sich 1100 in Fontevrault nieder, wo 1101 ein Doppelkloster eingerichtet wurde, das von einer Äbtissin geleitet werden sollte.Nach 1115 trat — wieder im Bistum Le Mans, wo auch Robert von Arbrissel gewirkt hatte — der Wanderprediger Heinrich von Lausanne auf, der anfangs mit Billigung des Bischofs predigte. Seine Predigten riefen jedoch einen Aufruhr gegen die Geistlichkeit hervor, der mit der Mailänder Pataria vergleichbar ist. Auch Heinrich nahm sich besonders der armen Ehefrauen und der Prostituierten an, die er mit Anhängern verheiratete. Nach seiner Vertreibung aus Le Mans wandte sich Heinrich nach Südfrankreich, wo er noch viel radikalere Anschauungen verbreitete: Er lehnte das Alte Testament und die Kirchenväter ab und akzeptierte allein die Evangelien. Die kirchliche Priesterschaft bezeichnete er als unnütz. Eucharistie spenden und Messe lesen dürfe nur ein Mensch, der ohne Sünde ist. Die Ehe betrachtete er als Vertrag zwischen zwei Personen, mit dem die Kirche nichts zu tun habe, und die Taufe lehnte er ab, da er nichts von der Erbsünde hielt. In der Provence vermochte Heinrich längere Zeit diese Lehre mit Erfolg zu predigen, ohne dass er vor ein bischöfliches Gericht gestellt worden wäre; noch 1145 predigte in Toulouse Bernhard von Clairvaux gegen ihn.Die Katharer: Ein neuer GlaubeDas 12. Jahrhundert wurde zum Jahrhundert der Ketzer vor allem durch das Auftauchen der Häresie der Katharer, die zuerst 1143 in Köln belegt ist. Der griechische Name, aus dem die Bezeichnung »Ketzer« entstanden ist, bedeutet »die Reinen«, und aus dem griechischen Osten kommt dieser Glaube auch. Im 2.Viertel des 10. Jahrhunderts hatte der bulgarische Dorfpriester Bogomil dem Kleinadel und den Bauern gepredigt, dass man sich von der Welt abwenden und das fromme Leben der Apostel führen solle. Die Ablehnung des kirchlichen Prunks, der Bilder, der Gebete und der Sakramente wurde verstärkt durch eine Ablehnung der Welt überhaupt. Diese sei nämlich böse, weil sie von Satan, dem anderen Sohn Gottes, geschaffen worden sei. Diese dualistische Anschauung, wonach die sichtbare Welt böse, die unsichtbare aber gut ist, wurde mit einem ganz spiritualistisch verstandenen Christentum verbunden und andere Elemente aus nichtchristlichen Religionen des Ostens, wie die Seelenwanderung, wurden aufgenommen. Als seit 1140 die Bogomilen im Byzantinischen Reich verfolgt wurden, zogen sie sich in die slawischen Gebiete außerhalb dieses Machtbereiches zurück und begannen mit einer Mission, die vor allem Italien und Frankreich ergriff.Die Anhänger der katharischen Lehre unterschieden sich deutlich von den schwärmerischen Anhängern einzelner Prediger, wie wir sie am Beginn des 12. Jahrhunderts kennen gelernt haben. Sie hatten nämlich eine Organisation, hatten Bischöfe und Glaubenslehrer und bildeten damit eine regelrechte Gegenkirche mit eigener Taufe und Handauflegung als Symbolen der Aufnahme und der Segnung.Von Anfang an hatte die neue Lehre ihren Schwerpunkt in Südfrankreich; dort lernte sie bereits zwischen 1144 und 1147 Bernhard von Clairvaux kennen; dort wurden Kleriker und zahlreiche Adlige, aber auch einfache Weber und Weberinnen Anhänger der neuen Lehre. 1165 lud der Graf von Toulouse zu einem Rededuell zwischen Katharern und sieben katholischen Bischöfen nach Albi ein. Es sollte sich zeigen, wer die wahren Christen sind, denn die Katharer nannten sich auch »wahre« oder »gute Christen«. In der Diskussion versuchten die Katharer, die nicht vom Evangelium gedeckte prunkvolle Lebensführung der Bischöfe zu brandmarken, während die Bischöfe die Katharer zu Aussagen über ihren Lehrinhalt verlocken wollten, um deutlich zu machen, dass sie Ansichten vertraten, die nicht mehr als christlich bezeichnet werden konnten. Die Katharer vermieden es aber geschickt, ihr Dogma zu verraten; sie gaben nur zu, dass sie das Alte Testament verwarfen.Das Katharerkonzil, das 1167 in Toulouse stattfand, bekannte sich zum radikalen Dualismus. Von einem engen Kreis der Anhänger dieses Glaubens, den perfecti, wurde verlangt, dass er sich von Frauen fern halten und kein Fleisch essen dürfe, weil in den Tieren unerlöste Menschenseelen eingeschlossen sein könnten. Da die Katharer nicht schwören und nicht in den Krieg ziehen durften, waren sie in der mittelalterlichen Umwelt leicht zu identifizieren.Die Waldenser: Laienpredigt und ArmutsidealKurz nachdem auf dem Katharerkonzil von 1167 der nichtchristliche Charakter dieser Lehre offenbar geworden war, breitete sich im Rhônetal und in Oberitalien eine neue Laienbewegung aus, deren Lehre ganz und gar christlich blieb. Ein Kaufmann aus Lyon namens Waldes hatte sich von Lateinkundigen das Neue Testament und einige Bücher des Alten Testaments in seine provenzalische Muttersprache übertragen lassen und beschlossen, ein Leben als Wanderprediger zu führen. Sein Vermögen verschenkte er, nachdem er Frau und Töchter versorgt hatte. Auf Straßen und Plätzen, in Häusern und Kirchen predigte er die apostolische Armut und die Nachfolge Christi. Als Papst Alexander III. diese Predigten verbot, ließ sich Waldes nicht beirren und prangerte nun auch das ungeistliche Leben der Kleriker an.1184 bannte das Konzil von Verona die Anhänger des Waldes, die Waldenser, zusammen mit den Katharern, was zu einer Radikalisierung auch der Waldenser führte, die jetzt wie die Katharer die Lehrautorität der Kirche, die Sakramente, die Heiligenverehrung mit Bildern und Reliquien verwarfen und auch Eid und Todesstrafe ablehnten. Auch gegen Ablass, Zehntleistung und Kriegsdienst wandten sie sich. Wie die Katharer bildeten die Waldenser eine eigene kirchliche Organisation mit Bischöfen, Priestern und Diakonen aus.Da neben dem Rhônetal und Oberitalien auch Flandern und das Rheinland die Hauptschwerpunkte dieser Häresien waren, hat man immer wieder auch wirtschaftliche Ursachen für ihre Ausbreitung verantwortlich gemacht. Zweifellos waren es vor allem Landschaften mit vielen Städten und einer beweglicheren Bevölkerung, in denen sich die Kritik an der Kirche und an den herkömmlichen gesellschaftlichen Normen ausbreitete. Im Süden Frankreichs waren es allerdings weniger die Städte als die auf dem Lande lebenden Adligen, die der Ketzerei Rückhalt gaben. Die Ausbreitung der Katharer und der Waldenser macht aber vor allem deutlich, wie wenig die Ideale der Kirchenreform des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts die Masse der Geistlichen wirklich ergriffen hatten.Der Beginn der systematischen KetzerverfolgungSchon 1143 in Köln, 1162 in England und 1163 wieder in Köln wurden Katharer verbrannt. Eine systematische Ketzerverfolgung betrieben aber erst die Päpste des ausgehenden 12. Jahrhunderts. 1184 beschlossen Papst Lucius III. und Kaiser Friedrich I. ein gemeinsames Vorgehen gegen die Ketzer, und Papst Innozenz III. nahm gleich am Beginn seines Pontifikats die Ketzerbekämpfung auf.Bereits 1194 hatte König Alfons II. von Aragonien verfügt, dass alle, die Ketzer bei sich aufnähmen, ihnen zu essen gäben und ihre Predigt anhörten, ihre Güter verlieren sollten. Damit waren die Sanktionen, die von den römischen Kaisern der Spätantike gegen Majestätsbeleidiger erlassen worden waren, auf Häretiker übertragen worden. Diese Analogie wurde von Innozenz III. noch ausgebaut: Es sei schlimmer, die ewige Majestät Gottes zu beleidigen als die zeitliche, und daher seien die gleichen Strafen für Häresie und für Majestätsbeleidigung mehr als berechtigt. Der Papst forderte 1199 die Fürsten auf, das Vermögen der Ketzer und ihrer Freunde zu konfiszieren. Wenn ein Fürst in Häresie verfiel, beanspruchte der Papst, seine Länder den rechtgläubigen Nachbarn zur Eroberung anzubieten. Die weltliche Obrigkeit solle die Ketzer bestrafen, ihr Eigentum zu gleichen Teilen an die Denunzianten, an das Gericht und an die örtliche Gemeinde fallen. Im Süden Frankreichs wurde dieses neue Recht zum ersten Mal angewandt: Weil die Grafen von Toulouse, von Foix und von Béziers und Carcassonne den Katharern wohlwollend gesonnen waren, wurden sie vom päpstlichen Legaten Peter von Castelnau gebannt. Als ein Ministeriale des Grafen Raimund VI. von Toulouse diesen Legaten am 15. Januar 1208 ermordete, bannte der Papst den Grafen, entband dessen Untertanen vom Treueid und gestattete jedermann, sich des Landes des Grafen zu bemächtigen.Die AlbigenserkriegeInnozenz III. ließ sodann den Kreuzzug predigen, um die Ketzer auszurotten. In Nordfrankreich hatte dieser Aufruf großen Erfolg. Der Abt von Cîteaux und zwei Bischöfe setzten sich an die Spitze des Kreuzheeres. Bei der Eroberung des belagerten Béziers soll das Wort gefallen sein: »Schlagt sie alle tot, Gott wird die Seinen schon erkennen!« Dieses Wort entspricht sicher der Haltung vieler Kreuzfahrer. Mit der Übernahme der Führung durch den Normannen Simon IV., Graf von Montfort, rückten aber zunehmend politische und militärische Ziele in den Vordergrund. Es ging nun verstärkt darum, den Einfluss des aragonesischen Königs in Südwestfrankreich zurückzudrängen. Dies gelang Simon zunächst auch, indem er Peter II. von Aragonien 1213 besiegte, anschließend Toulouse eroberte und den Grafen von Toulouse zwang, nach England zu fliehen.Nachdem Simon von Montfort im Juni 1218 vor Toulouse gefallen war, bemühte sich der Papst, den französischen König zur Fortsetzung des Kampfes zu gewinnen. Doch weder dem Thronfolger noch Simons Sohn Amalrich gelang es, die Grafschaft Toulouse gegen die angestammten Grafen zu halten. Erst 1229 wurden die Kämpfe in Südfrankreich beendet, wobei der Graf von Toulouse das Gebiet nördlich der Garonne an Frankreich abtreten musste. Vor allem aber musste er sich verpflichten, die Ketzer zu bekämpfen und zu bestrafen. Daraufhin griffen die Katharer zu den Waffen und hielten sich fast zehn Jahre (1234—44). Erst mit dem Fall ihrer Festung Montségur war ihre äußere Macht gebrochen; die Sekte selbst blieb aber bis ins 14. Jahrhundert hinein lebendig.Die KetzerinquisitionDas 4. Laterankonzil von 1215 hatte die zuständigen Diözesanbischöfe beauftragt, die Ketzer aufzuspüren, zu überführen und abzuurteilen. Wenn sie ihrem Auftrag nicht nachkamen, sollten päpstliche Legaten als außerordentliche Richter tätig werden.Papst Gregor IX. befahl im Juni 1227 dem Marburger Propst Konrad, wahrscheinlich einem Prämonstratensermönch, seine Suche nach Ketzern fortzusetzen und die überführten Ketzer von dem bischöflichen Gericht aburteilen zu lassen. Im Oktober 1231 wurde er bevollmächtigt, gerichtlich gegen Ketzer vorzugehen. In den kommenden Jahren verfolgte Konrad von Marburg Ketzer mit einer neuartigen Sondergerichtsbarkeit, die noch für lange Zeit die Ketzerinquisition auszeichnen sollte und sie als Unrecht erscheinen lässt, obwohl sie sich in prozessrechtlich genau festgelegten Bahnen vollzog. Dabei hatten die Angeklagten von Anfang an nur die Wahl zwischen Geständnis der Schuld (dann mussten sie auch Mitwisser nennen) und Leugnung mit Todesfolge, da sie dann als hartnäckige, unbußfertige Ketzer galten. Geständige Ketzer wurden zu Gefängnis- und Bußstrafen verurteilt und mussten ein Büßerkreuz auf ihrer Kleidung tragen. Wer nicht geständig war, wurde verbrannt. Dabei war es schon Konrad von Marburg klar, dass unter den Verbrannten auch Unschuldige waren. Diese bezeichnete er als Märtyrer. Die Zeitgenossen erkannten die Neuartigkeit des Vorgehens Konrads durchaus und erhoben daher auch gegen diese Inquisition massiven Einspruch. Als Konrad von Marburg am 30. Juli 1233 von einem Beschuldigten aus dem hohen Adel ermordet wurde, war die Ketzerinquisition in Deutschland denn auch für einige Zeit beendet.Eine neue Phase wurde dann durch die Bulle Ad extirpanda eingeleitet, die Papst Innozenz IV. 1252 erließ. Mit diesem Gesetz sollte eine feste Organisation für eine systematische Ketzerverfolgung geschaffen werden. Die Inquisitoren sollten jede Stadt und jedes Dorf visitieren und dort die Einwohner zur Denunziation auffordern. Die weltliche Gewalt wurde verpflichtet, die Verdächtigen einzukerkern und diejenigen foltern zu lassen, die nicht gestehen und keine Mitschuldigen benennen wollten. Auch lange Kerkerhaft wurde angewandt, um die Angeklagten zu einem Geständnis zu zwingen.Nach der Niederlage der Staufer in Italien hatte auch hier die Kirche die Hände frei, um gegen die Häretiker vorzugehen, die besonders in Oberitalien bis in die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts recht stark waren. Die Inquisition erreichte es bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, die Katharer und die Waldenser in abgelegene Regionen (Pyrenäen, Alpentäler, Südböhmen) abzudrängen. Ihre Kritik an einer reichen Kirche war schon seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts von den Bettelorden, vor allem den Franziskanern, übernommen worden, und diese neuen Orden hatten es auch geschafft, die Bedürfnisse weiter Kreise nach einem religiösen Leben aufzufangen. Die Ketzerei als Massenbewegung war damit vorläufig beendet.Die Entwicklung des 13. und 14. Jahrhunderts ist dadurch gekennzeichnet, dass einzelne Theologen, aber auch Gruppen von Gläubigen, wie Beginen oder Begarden, der Häresie bezichtigt und auch verurteilt wurden. Ein wichtiges Ereignis war die Verurteilung von 219 Sätzen von Pariser Professoren durch den Bischof von Paris im Jahre 1277. Auch gegen den deutschen Mystiker Meister Eckhart wurde 1326 ein Inquisitionsverfahren eröffnet. Erst nach seinem Tod (1328) verurteilte eine päpstliche Bulle 17 Sätze Eckharts als häretisch, durch die er das einfache Volk verwirrt habe.Am Ende des 14. Jahrhunderts entstanden dann neuartige häretische Bewegungen, die auf das Zeitalter der Reformation vorausweisen. Hier sind vor allem John Wycliffe (Wyclif) und seine Anhänger in England und die Hussiten in Böhmen zu nennen. Wycliffe wollte allein die Bibel als Grundlage des Glaubens gelten lassen; die Amtskirche mit dem Papst, den Kardinälen, Bischöfen und den Mönchsorden hielt er für sündhaft; dagegen glaubte er, dass der König die irrende Kirche korrigieren und ihren Besitz wegnehmen dürfe. Obwohl eine Reihe von Wycliffes Anschauungen seit 1377 verurteilt wurden, blieb er bis zu seinem Tod 1384 unbehelligt.In Böhmen waren bereits seit etwa 1360 Volksprediger aufgetreten, die gegen den Reichtum des Klerus und für eine neue Struktur der Kirche predigten. Böhmische Studenten brachten auch die Anschauungen Wycliffes nach Prag. Zu den böhmischen Wycliffiten gehörte Jan Hus, der seit 1402 als Prediger an der Bethlehemkapelle in Prag einen großen Kreis von Zuhörern erreichte. Hus wurde vom Konstanzer Konzil verhört und verurteilt, weil er sich weigerte, als häretisch geltende Sätze aus seinen Schriften zurückzunehmen. Erst nachdem Hus am 6. Juli 1415 in Konstanz verbrannt worden war, formierte sich in Böhmen eine Bewegung, die den Adel und das Volk weiter Teile des Landes ergriff und trotz gewaltsamer Unterdrückungsversuche bis zur Reformation die prägende religiöse Kraft blieb. Zum Symbol wurde der Kelch, den die Hussiten beim Abendmahl auch an die Laien austeilten.Prof. Dr. Wilfried HartmannWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Kreuzzüge: Mit Feuer und Schwert gegen die HeidenFichtenau, Heinrich: Ketzer und Professoren. Häresie und Vernunftglaube im Hochmittelalter. München 1992.Handbuch der Kirchengeschichte, herausgegeben von Hubert Jedin. Band 2 und 3. Sonderausgabe Freiburg im Breisgau u. a. 1985.Koch, Gottfried: Frauenfrage und Ketzertum im Mittelalter. Die Frauenbewegung im Rahmen des Katharismus und des Waldensertums und ihre sozialen Wurzeln (12.-14. Jahrhundert). Berlin-Ost 1962.Müller, Daniela: Frauen vor der Inquisition. Lebensform, Glaubenszeugnis und Aburteilung der deutschen und französischen Katharerinnen. Mainz 1996. 1996.Werner, Ernst/Erbstößer, Martin: Kleriker, Mönche, Ketzer. Das religiöse Leben im Hochmittelalter. Neuausgabe Freiburg im Breisgau u. a. 1994.
Universal-Lexikon. 2012.